Eine App gegen Autoritarismus
Trotz des russischen Vernichtungskrieges gegen die Ukraine harren viele westliche Unternehmen in Russland aus. Einige von ihnen fühlen sich nicht betroffen, weil ihre Produkte (Lebensmittel und Medikamente) nicht unter die Sanktionen fallen, andere wollen explizit nicht auf das Russlandgeschäft verzichten, bzw. hoffen auf eine baldige Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen. Für Verbraucher soll es bald eine App geben, mit der man solche schwarze Schafe erkennen kann.
Von Felix Hosse
Die globale Vernetzung und unmittelbarer Kommunikation gibt dem Einzelnen im Kampf gegen Ungerechtigkeit und für ethische Verantwortung neue Einflussmöglichkeiten. Diese Chance ergreift „Clear Conscience“, das Verbrauchern ermöglicht, durch ihre Kaufentscheidungen direkt Einfluss zu nehmen und ihre Stimmen gegenüber großen Konzernen hörbar zu machen.
Das Problem: Westliche Unternehmen, die in Russland bleiben
Zahlreiche westliche Unternehmen setzen trotz des brutalen Angriffskriegs gegen die Ukraine ihre Geschäfte in Russland einfach fort. Diese Firmen tragen durch ihre Steuerzahlungen zur finanziellen Unterstützung des Staates und mithin des Krieges bei. Basierend auf aktuellen Zahlen von 2022 betrug das Gewinnsteueraufkommen ausländischer Unternehmen in Russland 2,8 Milliarden Dollar, ihr gesamtes Steueraufkommen wird auf ein Vielfaches davon geschätzt. Dies wirft nicht nur ethische Fragen auf, sondern untergräbt auch internationale Bemühungen, den Krieg durch wirtschaftlichen Druck einzudämmen. Das anhaltende Engagement dieser Unternehmen in Russland verdeutlicht ein tiefgreifendes Problem: die Diskrepanz zwischen öffentlich proklamierten ethischen Standards und den tatsächlichen Geschäftspraktiken.
Die Macht privater Boykotte
Obwohl staatliche Sanktionen im weltweiten Kampf für eine friedliche und gerechte Welt eine wichtige Rolle spielen, haben sie ihre Grenzen. Vielen gelten sie als erhebliche Eingriffe in die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen, der in einer liberalen Demokratie gut begründet werden muss. Sie werden oft umgangen. Bürgerinnen und Bürger sind bei diesen Maßnahmen außen vor, so dass sie nicht erkennen, welche Rolle sie selber in diesem Prozess übernehmen könnten. So kommt es zu einem “Crowding-Out-Effekt”, bei dem sich einzelne Verbraucher fragen, warum sie noch handeln sollen, wenn der mächtige Staat doch schon Sanktionen gegen Unrechtsstaaten erlassen hat. Über die Breite und Effektivität der Sanktionen sind sich viele oft nicht im Klaren.
An dieser Stelle offenbart sich die wahre Kraft des privaten Boykotts. Durch den bewussten Verzicht auf Produkte und Dienstleistungen von ethisch fragwürdig agierenden Unternehmen können Konsumenten direkten Einfluss auf diese Firmen ausüben. Im Gegensatz zu staatlichen Sanktionen, die leicht umgangen werden können, sind Unternehmen besonders empfindlich für den Verlust von Marktanteilen und Umsatz in ihren (westlichen) Kernmärkten. Dies ist umso wichtiger, weil der Anteil des Russlandgeschäfts am globalen Umsatz der meisten Unternehmen seit Jahren und auch vor der Vollinvasion stetig sinkt. Ein gut organisierter Boykott kann daher eine unmittelbare und spürbare Wirkung erzielen.
Eine innovative Lösung
Hier setzt Clear Conscience an und bietet mit einer Browser-Erweiterung und einer Barcode-Scanning-App Hilfsmittel, die es Konsumenten möglich machen, informierte Kaufentscheidungen zu treffen, die mit den eigenen Überzeugungen und Grundsätzen übereinstimmen.
Clear Conscience adressiert eine Schwachstelle privater Boykotthandlungen: Unternehmen können häufig die Auswirkungen eines Boykotts nicht quantifizieren und so keine Geschäftsentscheidungen treffen, die auf den spezifischen Präferenzen ihrer Kunden beruhen. Clear Conscience aggregiert, wie viel Geld pro Marke bei der Konkurrenz ausgegeben wurde und informiert das Unternehmen darüber. So verleihen wir Konsumenten eine öffentliche Stimme und ermöglichen Unternehmen fundierte Geschäftsentscheidungen. Ein Abwandern ausländischer Unternehmen aus Russland und eine Schwächung des russischen Staatshaushalts werden so wahrscheinlicher.
Die langfristige Vision
Mittelfristig ist das Ziel, die Fähigkeit Russlands zu minimieren, seinen genozidalen Krieg gegen die Ukraine zu führen. Jeder Rubel, der nicht in der russischen Staatskasse landet, trägt dazu bei, dass weniger ukrainische Städte in Schutt und Asche gelegt werden und dass weniger Ukrainerinnen und Ukrainer in den Schützengräben sterben. Clear Conscience leistet hier seinen Beitrag in einem Konzert, das auch aus staatlichen Sanktionen bestehen muss. Unser Blick geht allerdings weit über den aktuellen Krieg in der Ukraine hinaus. Wir streben danach, eine Welt zu schaffen, in der jeder Euro im Einklang mit dem persönlichen Gewissen ausgegeben werden kann. Die Vision ist eine Wirtschaft, die von den Werten der Verbraucher geleitet wird, und Unternehmen, die erkennen, dass ethisches Handeln kein optionales Extra, sondern ein grundlegender Bestandteil ihres Geschäftsmodells sein muss.
Der Weg nach vorn
Durch die Nutzung der Tools und der Informationen, die Clear Conscience zusammen mit anderen Partnern bereitstellt, können einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher einen Unterschied machen. Die Entscheidung, bestimmte Unternehmen zu unterstützen oder zu meiden, ist eine starke Waffe im Kampf gegen Autoritarismus und für eine ethische Welt. Clear Conscience baut so Brücken zwischen ethischen Überzeugungen und Alltagskonsum.
* Felix Hosse ist Gründer des Berliner EGO-Instituts, das sich der Förderung von Freiheit verschrieben hat und sich schon früh an Hilfslieferungen in die Ukraine beteiligt hat. Er ist Geschäftsführer von Clear Conscience.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de