Wie man die Russ­land-Sank­tio­nen stärker macht

Im dritten Jahr der rus­si­schen Voll­in­va­sion der Ukraine ist die Frage nach der Wirk­sam­keit der Sank­tio­nen gegen Russ­land drin­gen­der denn je: Was kann noch getan werden, um sie wir­kungs­vol­ler zu machen? Die Sank­ti­ons­exper­tin Maria Schagina argu­men­tiert, dass man sich am besten auf den rus­si­schen Ener­gie­sek­tor kon­zen­trie­ren sollte.

Dieser Artikel ist Teil zu unserem Dossier Sank­tio­nen, mit dem wir vor unserer Rus­s­­land-Kon­­­fe­­renz am 15. Mai erör­tern wollen, wie die Sank­tio­nen gegen Russ­land ver­schärft werden können.

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Die Sank­tio­nen konnten Russ­land zwar nicht davon abhal­ten, in sein sou­ve­rä­nes Nach­bar­land ein­zu­mar­schie­ren, sie können aber die Hand­lungs­frei­heit des Kremls ein­schrän­ken. Die Sank­ti­ons­po­li­tik und Export­kon­trol­len zielen darauf ab, Russ­lands wirt­schaft­li­che und mili­tä­ri­sche Optio­nen ein­zu­schrän­ken und den Kreml zu einer Ver­hal­tens­än­de­rung zu zwingen. Dies ist natür­lich viel schwie­ri­ger als einfach nur Abschre­ckung, denn es erfor­dert eine strikte Durch­set­zung in den sank­tio­nie­ren­den Ländern und gute mul­ti­la­te­rale Zusam­men­ar­beit, damit das Ziel­land die Maß­nah­men nicht mittels Dritt­län­der umgeht. 

Maria Shagina

Maria Shagina ist Senior Fellow am Inter­na­tio­nal Insti­tute for Stra­te­gic Studies in Berlin. 

Heißt das, dass Sank­tio­nen als Mittel der Politik nutzlos sind? Nein, aber sie funk­tio­nie­ren nur mit intel­li­gen­ter Struk­tur, robus­ter Durch­set­zung und ver­stärk­ter Zusam­men­ar­beit mit der Wirtschaft.

Es gibt einen Bereich, in dem die Beschnei­dung von Russ­lands Hand­lungs­mög­lich­kei­ten von ent­schei­den­der Bedeu­tung ist: der Ener­gie­sek­tor. Denn seine Erlöse sind tra­di­tio­nell eine Gold­grube für den rus­si­schen Haus­halt. In der Ver­gan­gen­heit stamm­ten etwa 40 Prozent der Staats­ein­nah­men aus dem Verkauf von Öl und Gas. Da die rus­si­sche Wirt­schaft auf dem Rücken der Mili­tär­aus­ga­ben wächst, fließen alle Export­ein­nah­men aus dem Ener­gie­sek­tor in den mili­tä­risch-indus­tri­el­len Komplex des Landes.

Um Russ­lands lukra­tive Roh­stoff­wirt­schaft ins Visier zu nehmen, führte die G7 2022 den Ölpreis­de­ckel ein, eine zwei­glei­sige Politik, die Russ­land ermu­ti­gen sollte, die Märkte weiter mit Öl zu ver­sor­gen und gleich­zei­tig seine Haus­halts­ein­nah­men zu senken. Diese Politik war absicht­lich langsam ange­legt, um die ohnehin ange­spann­ten Ölmärkte nicht zu ver­un­si­chern, eine Infla­ti­ons­spi­rale zu ver­mei­den und um eine Über­erfül­lung seitens der Roh­stoff­händ­ler zu verhindern.

Anfangs funk­tio­nierte diese Preis­ober­grenze wie beab­sich­tigt: Sie drückte die rus­si­schen Haus­halts­ein­nah­men im Januar 2023 um 40 Prozent und erhöhte gleich­zei­tig den Abschlag für die Ölsorte Ural auf 40 US-Dollar pro Barrel. Da es aber bei der Durch­set­zung haperte, nahm ihre Wirk­sam­keit ab. Moskau hat sein Rohöl mit Hilfe einer rie­si­gen „Schat­ten­flotte“ und dubio­ser Ver­si­che­run­gen erfolg­reich nach China, Indien und in die Türkei umge­lei­tet. In der zweiten Hälfte von 2023 ver­rin­ger­ten sich die Preis­nach­lässe auf 14 Dollar pro Barrel, während die Haus­halts­ein­nah­men von 13 auf fast 18 Mil­li­ar­den Dollar pro Monat stiegen.

Ölpreis­de­ckel kon­se­quen­ter durchsetzen

Welche Maß­nah­men im Ener­gie­be­reich sind not­wen­dig, um den Druck zu erhöhen? Erstens ist eine stär­kere Durch­set­zung des Ölpreis­de­ckels uner­läss­lich. Ein stren­ge­res Beschei­ni­gungs­ver­fah­ren ist von zen­tra­ler Bedeu­tung. Als die G7-Länder Anfang 2024 die Durch­set­zung der Preis­grenze ver­schärf­ten, wurde diese besser ein­ge­hal­ten, was zu einem grö­ße­ren Abschlag von 18 Dollar pro Barrel führte. Es ist zwar unwahr­schein­lich, dass sich die Länder des Glo­ba­len Südens dem Ölpreis­de­ckel anschlie­ßen, seine kon­se­quente Durch­set­zung wäre aber ein Anreiz für sie, von Moskau höhere Preis­nach­lässe zu ver­lan­gen, was im Ein­klang mit der west­li­chen Sank­ti­ons­po­li­tik steht.

Das Dekret der US-Regie­rung von Joe Biden, aus­län­di­sche Finanz­in­sti­tute für jeg­li­che Betei­li­gung am rus­si­schen Rüs­tungs­sek­tor mit Sekun­där­sank­tio­nen zu belegen, hat Moskaus Ener­gie­ex­porte zusätz­lich belas­tet. Banken in China, der Türkei und den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten haben begon­nen, ihre Kor­re­spon­denz­kon­ten bei rus­si­schen Kre­dit­in­sti­tu­ten zu kün­di­gen, was den inter­na­tio­na­len Zah­lungs­ver­kehr erschwert. Indien zögerte, rus­si­sche Ölex­porte anzu­neh­men – alles wegen der Gefahr von Sekun­där­sank­tio­nen. Obwohl Bidens Dekret nicht auf den Ener­gie­sek­tor abzielt, ist die abschre­ckende Wirkung da und wirkt sich in mona­te­lan­gen Zah­lungs­ver­zö­ge­run­gen aus, die Russ­lands Umge­hungs­be­mü­hun­gen erschweren.

Russ­lands „Schat­ten­flotte“ ins Visier nehmen

Zwei­tens würden Maß­nah­men gegen die so genannte Schat­ten­flotte Moskaus Umge­hungs­be­mü­hun­gen einen Riegel vor­schie­ben. Als die US-Regie­rung begann, Ree­de­reien und Schiffe mit Sank­tio­nen zu belegen, hatte dies sofort Aus­wir­kun­gen. Die meisten betrof­fe­nen Schiffe konnten nicht mehr anlegen oder neue Käufer finden. Die Kapa­zi­tät der rus­si­schen Flotte ist nicht unbe­grenzt, so dass die Ein­lei­tung von Ermitt­lun­gen und die Ver­hän­gung hoher Strafen das Risi­ko­kal­kül selbst für unse­riöse Akteure ver­än­dern würde. Infol­ge­des­sen würde sich die Sank­ti­ons­prä­mie erhöhen, was zu höheren Schiff­fahrts­kos­ten und gerin­ge­ren Ein­nah­men für Russ­land führen würde.

Was die EU und die USA konkret tun könnten

Drit­tens kann der Westen weitere Eng­pässe aus­nut­zen – Russ­lands Abhän­gig­keit von euro­päi­schen Häfen für seine Ölex­porte und die Ver­flech­tung der USA mit der Flot­ten­re­gis­trie­rungs­bran­che. Da der Groß­teil des rus­si­schen Rohöls durch euro­päi­sche Gewäs­ser trans­por­tiert wird, sollten die EU-Länder ihre Anfor­de­run­gen für eine ange­mes­sene und gut kapi­ta­li­sierte Ver­si­che­rung der Tanker erhöhen. Dies würde nicht nur den Kreml zwingen, sich wieder auf G7-Ver­si­che­run­gen zu ver­las­sen, sondern auch das Risiko von Umwelt­ka­ta­stro­phen verringern.

Auch bei der Regis­trie­rung von Schif­fen haben die USA einen über­pro­por­tio­na­len Ein­fluss. Russ­land nutzt zwar aktiv Bil­lig­flag­gen wie Liberia, Panama und die Mar­shall­in­seln, doch deren Manage­ment sitzt häufig in den USA, was den US-Behör­den die Mög­lich­keit gibt, Sank­tio­nen gegen sie zu ver­hän­gen. Dies ist eine zen­trale Schwach­stelle für die rus­si­sche Ölflotte.

Ölpreis weiter unten deckeln

Schließ­lich sollte der Westen eine Senkung der Preis­ober­grenze in Erwä­gung ziehen und die Maß­nah­men aus­wei­ten, um das Verbot für rus­si­sche Ener­gie­trä­ger zu ver­voll­stän­di­gen. Ange­sichts stei­gen­der Ölpreise muss drin­gend über einen nied­ri­ge­ren Preis­de­ckel nach­ge­dacht werden. Eine Senkung auf 30 Dollar pro Barrel würde Moskaus Haus­halts­ein­nah­men um 49 Prozent ver­rin­gern. Mit der jet­zi­gen Preis­grenze werden die Ein­nah­men des Kremls nicht schnell und nach­hal­tig genug sinken. Eine wirt­schaft­li­che Her­aus­for­de­rung für Russ­land würde sich erst bei Ölprei­sen unter 40 Dollar pro Barrel abzeichnen.

Eine gute Ergän­zung zur Ölpreis­grenze wäre ein EU/G7-Verbot von rus­si­schem Pipe­line-Gas, rus­si­scher Kern­ener­gie und rus­si­schem Flüs­sig­gas (LNG). Damit würden dem Land nicht nur zukünf­tige Export­ein­nah­men genom­men, eine solche Politik stünde auch in engem Ein­klang mit der Ver­pflich­tung der EU, sich bis 2027 von Russ­lands fos­si­len Brenn­stof­fen abzukoppeln.


Maria Schagina ist Diamond-Brown Senior Fellow für Wirt­schafts­sank­tio­nen beim Inter­na­tio­nal Insti­tute for Stra­te­gic Studies in Berlin. Zwi­schen 2017 und 2022 hat sie beim Finnish Insti­tute of Inter­na­tio­nal Affairs in Hel­sinki sowie an der Uni­ver­si­tät Zürich geforscht. Sie hat an der Uni­ver­si­tät Luzern in Poli­tik­wis­sen­schaf­ten promoviert.

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